Was würdest du machen, wenn es dich plötzlich zweimal gäbe?
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Der Klappentext
Annika ist allein. Allein mit ihren zwei kleinen Rabauken. Allein mit dem Chaos ihrer Selbständigkeit. Sex ist schon seit Jahren nicht in Sicht. Von einer neuen Liebe ganz zu schweigen. Doch eines Morgens ist sie plötzlich nicht mehr allein. Sie hört eine fremde Person in ihrer Küche. Als Annika sich zu ihr schleicht, bleibt ihr das Herz stehen. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit …
Leseprobe – Das erste Kapitel
Es war beinahe acht Uhr morgens, als ich erwachte und aus der Küche ein Geräusch hörte, das ich nicht hätte hören dürfen: Das Gurgeln der Kaffeemaschine.
Ich schreckte hoch, in der Sorge, dass Lukas oder gar Lene mit dem für sie gefährlichen Gerät hantieren würden. Doch im selben Moment sah ich die beiden schon. Die Kleinen lagen kreuz und quer auf meinem zum Bett umfunktionierten Klappsofa, tief schlafend. Wie fast jede Nacht hatte sich einer nach dem anderen zu mir geschlichen. Es beruhigte mich, die Quälgeister unversehrt bei mir zu sehen, doch gleichzeitig steigerte es den Horror des Gurgelns in der Küche ins Unermessliche. Denn nun war die Frage: Wer hatte die Kaffeemaschine eingeschaltet?
Seit mehr als drei Jahren lebte ich alleine mit meinen Kindern. Niemand besaß einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Gut, die Familie im Dachgeschoss unseres Kreuzberger Altbaus hatte für den Notfall einen Ersatzschlüssel, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Trixi oder ihr Lebensgefährte Tom mich am frühen Morgen mit frischem Kaffee überraschen wollten. Lukas und Lene spielten zwar regelmäßig mit deren gleichaltrigen Kindern, aber so eng verbunden war ich dem Paar weiß Gott nicht.
Ich erschrak fürchterlich, als ich plötzlich das Scheppern einer der Brotdosen meiner Kinder hörte. Das Geräusch war mir vertraut. Auch mir fiel gerne mal am Morgen eine der Edelstahldosen herunter, wenn ich sie übermüdet mit Broten für die Kita bestücken wollte. Es war nun ein Fakt: Ein fremder Mensch befand sich in meiner Küche. Ich spürte, wie mein Herz raste und das Atmen schwerer wurde. Dabei hatte ich mich an diesem Morgen noch keinen Zentimeter bewegt.
Vorsichtig und leise streifte ich die Decke ab, kletterte an den schlafenden Kindern vorbei aus dem Bett und schlich nur mit T-Shirt und Slip bekleidet in den Flur. Dort roch ich den Duft von frischem Kaffee. Und hörte ein weiteres Geräusch: Brot wurde geschnitten. Der Gedanke, dass der Fremde mit einem Brotmesser in meiner Küche stand, machte es mir nicht gerade einfacher, zu ihm zu gehen. Schon gar nicht ohne eigene Bewaffnung. Ich schnappte mir die massive Glasvase, die im Flur auf dem Sideboard stand und schon seit Monaten keine Blumen mehr beherbergt hatte. Sie war besser als gar nichts. Auf Zehenspitzen schlich ich mit der erhobenen Vase zur geöffneten Küchentür. Ein weiteres Mal hörte ich das Sägegeräusch. Das Schneiden von Brot war mir noch nie so laut und unheimlich vorgekommen. Wer machte sich dort in meiner Küche in aller Seelenruhe eine Stulle? Ein Obdachloser? Ein schlafwandelnder Nachbar? Ein hungriger Einbrecher? Langsam, ganz langsam schob ich den Kopf am Türrahmen vorbei und schaute um die Ecke. Was ich in der Küche sah, ließ mein Herz aussetzen. Mit vielem hatte ich gerechnet, doch auf keinen Fall damit. Denn dort an der Arbeitsfläche mit dem Brotmesser in der Hand stand: ich selbst.
An meinem Verstand zweifelnd beobachtete ich, wie die Frau, die exakt so aussah wie ich, ein soeben abgeschnittenes Brot mit Butter bestrich und dann mit Salami belegte. Genau wie ich es an jedem Wochentag morgens tat. Nur dass ich in diesem Moment mit einer Vase in Händen im Flur stand. Träumte ich? Oder war ich gestorben und sah nun die traurigen Höhepunkte meines Lebens noch einmal höchstplastisch vor mir? Mein Zwilling nahm das zweite Brot und belegte es mit einer Scheibe Gouda. Dieses Brot war für Lene, das mit der Salami für Lukas. Die Frau wusste zweifelsohne, was sie tat. Routiniert holte sie nun Butterbrottüten aus einer Schublade, schob die Brote hinein und legte alles zusammen in die bereitstehenden Brotdosen. Salami in die blaue. Gouda in die rote. Ich kannte jede dieser Bewegungen haargenau. Es waren meine Hände. Es war mein wegen fehlender Zeit für Sport in die Breite gegangener Körper. Es waren mein Schlaf-T-Shirt und mein Slip, die sie trug. Ich hatte genau dasselbe am Leib wie diese Frau, die sich nun zum Kühlschrank wandte und ihn öffnete. Auch wenn ich hinter der Kühlschranktür stand und nichts mehr sehen konnte: Ich wusste genau, dass sie eine Gurke herausholen würde, denn ohne etwas mit Vitaminen gingen die Kinder mir nicht aus dem Haus. Und tatsächlich sah ich die halbe Gurke in ihrer oder vielmehr meiner Hand, als die Kühlschranktür sich wieder schloss. Und ich sah auch, wie die Gurke im nächsten Moment zu Boden fiel, denn die Frau in meiner Küche blickte mir direkt ins Gesicht. Mit weit aufgerissenen Augen. Ich war mir sicher: Ihr Herz hatte gerade ausgesetzt wie meins wenige Minuten zuvor. Sie ging erschrocken einige Meter zurück, bis sie mit dem Po an die Spüle stieß. Wir starrten uns stumm an. Beide voller Unglauben.
„Wer sind Sie?“, fragte ich schließlich die Frau mit zitternder Stimme.
„Moment“, sagte die Andere mit ebenfalls zitternder Stimme. „Was ist hier los?“
Es war meine Stimme. Eindeutig. Was Stimmen anging, war ich Expertin. Sie waren mein Beruf. Ich war professionelle Sprecherin und hörte tagtäglich meine eigene Stimme – in allen Varianten. In Werbungen, Computerspielen, Telefonansagen, Hörspielen und so weiter. Es war eine wohlklingende und äußerst variable Stimme ohne jeglichen Akzent oder Ansatz eines Sprachfehlers. Sie war mein Gold. Während ich mir noch gerade so vorstellen konnte, dass man mit irgendeiner modernen High-Tech-Maske mein Aussehen simulieren konnte, war es für mich unmöglich, meine Stimme zu kopieren. Sie war einzigartig.
Wir staunten uns weiter an. Ohne etwas zu sagen. Ich sah, wie ihr Blick meinen Körper abtastete, genau wie meiner es kurz zuvor bei ihr getan hatte. Sie schaute sogar an sich selbst hinab, um zu sehen, ob sie wirklich dasselbe T-Shirt trug wie ich. Ja, wir trugen beide das verwaschene Portugal-Shirt, das im letzten Sommer durch den Gürtel viele kleine Löcher auf Höhe des Bauchnabels davongetragen hatte. Es war mir zu schade zum Wegschmeißen gewesen und da mein Lieblingspyjama längst nicht mehr passte, ohne zu zwicken, trug ich es nun eben nachts. Die Andere fixierte die Löcher vorne in der Mitte meines Shirts. Sie waren exakt genauso angeordnet wie bei ihr.
„Wo hast du das Shirt gekauft?“, fragte ich sie einem plötzlichen Impuls folgend.
Es erschien mir absurd, sie weiterhin zu siezen. Sie staunte über die Frage, verstand aber sofort, worauf ich hinauswollte.
„Heiko hat’s mir geschenkt“, sagte sie. „Es war das einzige Geschenk von ihm, das …“
„… mir je etwas bedeutet hat“, vollendete ich den Satz.
Heiko war der Vater von Lukas und Lene. Ein Arschloch. Nicht von Anfang an, aber spätestens seit Lukas auf der Welt gewesen war. Der Kleine war damals leider viel zu schnell entstanden. Trotz Pille. Genau wie zwei Jahre später Lene. Manchmal schlägt der Blitz eben doch zweimal an derselben Stelle ein. In unserer Pärchenzeit war Heiko noch charmant gewesen und ein echt cooler Kerl, aber er war immer schon lausig im Beschenken gewesen. Von ihm gab’s Bücher, die er selbst gerne lesen wollte. Oder Gutscheine fürs Fitnessstudio. Einmal sogar einen Toaster. Das Ding stand auf dem Küchenschrank nicht weit von der Anderen, die genau in diesem Moment ebenfalls zu dem Toaster schaute. In ihrem Kopf liefen offensichtlich die gleichen Gedankengänge ab wie in meinem.
„Wie ist die PIN-Nummer der EC-Karte?“, fragte sie mich nun.
„Es ist mein Geburtstag.“
Ich hatte sehr lachen müssen, als ich den Brief mit der Nummer bekommen hatte. 0404. Am 4. April 2014 war ich vierundreizig Jahre alt geworden. Sie offensichtlich auch, denn sie nickte nun. Das mit dem Shirt hatte ich mit Sicherheit Freundinnen erzählt. Die PIN-Nummer konnte man herausfinden. Ich wollte sie etwas fragen, was wirklich nur ich selbst wissen konnte.
„Was hat Mama gesagt, bevor sie gestorben ist?“
Eine schwere Frage. Ich spürte sofort den Knoten in meinem Hals. Ihr Tod war keine drei Jahre her. Sie hatte Lene noch kennengelernt und war dann dem Krebs erlegen.
„,Pass auf ihn auf‘“, flüsterte die andere.
Auch sie hatte einen Knoten im Hals. Nicht nur weil ich sie an den viel zu frühen Tod meiner Mutter erinnerte, sondern weil sie genau wie ich wusste, dass ich ihr diesen letzten Wunsch nicht erfüllt hatte. Mein Vater lebte alleine in unserer alten Wohnung in Hannover und dämmerte vor dem Fernseher vor sich hin. Ich hatte viel zu wenig Zeit für ihn.
„Das kann doch alles nicht wahr sein“, entfuhr es mir. „Was ist hier los?“
Ich war nun davon überzeugt, dass dort auf der anderen Seite der Küche ich selbst stand. Sie war noch nicht ganz so weit.
„Warte! Noch eine Frage.“
Sie dachte nach. Ich stellte endlich die bescheuerte Vase ab.
„Was ist deine geheimste Sexfantasie?“, fragte sie mich.
Ich schaute sie angestrengt an. Echt?
„Na, komm, das weiß keiner.“
Sie hatte recht. Ich hatte es selbst den Männern, mit denen ich bisher intim gewesen war, nie erzählt. Und somit auch nie erlebt.
„Dass er … dass er mich in der Öffentlichkeit nimmt. Wenn uns jeden Moment jemand entdecken kann … Gegen meinen Willen.“
Das letzte sagte ich sehr leise, fast verschämt, denn es war nichts, was ich gerne offen zugab. Aber ich sagte es ja niemandem Fremden. Ich sagte es nur mir selbst.
„Ich muss mal Pipi.“
Ich zuckte zusammen, weil in diesem Moment Lukas aus meinem Zimmer erschienen war. Er trippelte auf der Stelle und schaute mich dabei schlaftrunken an.
„Dann geh’ schnell.“
Barfuß tapste er ins Bad davon, von wo ich bald darauf das Hochklappen des Klodeckels hörte.
„Er konnte dich sehen?“, fragte die Andere mich fast erstaunt.
„Natürlich konnte er mich sehen.“
Aber ich wusste, was sie daran irritierte. Eine Psychose oder irgendeine andere medizinische Erklärung für die plötzliche Anwesenheit von zwei Annikas anstatt einer, wäre noch eine Möglichkeit gewesen, den Albtraum dieses Morgens einigermaßen zu erklären. Aber diese Erklärung war nicht mehr möglich, wenn auch andere Menschen uns beide sehen konnten. Vor allem wenn die Kinder uns sehen konnten, die garantiert nicht unbedarft an welcher Art von Manipulation auch immer teilnehmen würden.
„Mama?“, hörte ich nun Lene rufen.
„Geh du“, sagte ich zu der Anderen, um letzte Gewissheit zu bekommen.
Sie zögerte kurz, gab sich dann einen Ruck und eilte auf mich zu. Als sie an mir vorbeikam, spürte ich den Windhauch. Sie war real. Ich roch sie. Ich roch mich. Sie ging in mein Zimmer.
„Na, mein Schmetterling, hast du gut geschlafen?“, hörte ich sie sagen.
„Wo ist Ziege?“, maulte Lene, der zurzeit nichts in der Welt wichtiger war als die kleine Stoffziege, die mein Vater ihr zu ihrem dritten Geburtstag geschenkt hatte.
„Bestimmt in eurem Zimmer“, erwiderte die Andere in dem mir vertrauten Tonfall, der für die Kinder reserviert war.
Allerdings war ihr Satz ein Fehler. Denn schon kam Lene aus meinem Zimmer geschossen. Sie wollte ins Kinderzimmer rennen, sah aber nun mich, wie ich überfordert im Flur stand. Die Kleine schaute mich verdutzt an und dann hinter sich in mein Zimmer, wo die Andere stand. Sie sah uns beide.
„Komm, ich helf dir suchen“, sagte ich sofort, riss Lene hoch auf meinen Arm und schloss schnell die Schlafzimmertür, wo die Andere genauso bedrückt wirkte, wie ich mich fühlte.
Denn natürlich wussten wir beide, dass die Kinder uns nicht gemeinsam sehen durften. Es war für mich schon schwer genug, damit klarzukommen, was hier gerade geschah. Die Kinder wollte ich auf keinen Fall damit belasten.
„Wir müssen uns ein bisschen beeilen. Sonst kommen wir zu spät in die Kita. Es ist schon spät. Willst du Ziege ausnahmsweise heute mitnehmen in die Kita?“
Ich plapperte wie wild drauf los, um die Kleine abzulenken. Sie hatte noch einmal zur Schlafzimmertür geschaut, doch mein letzter Satz führte zum Erfolg. Die Andere war vergessen. Denn eigentlich hatte ich es strikt untersagt, Ziege mit in die Kita zu nehmen, seit wir das Ding einmal dort vergessen hatten und Lene ein ganzes Wochenende lang entsetzlich unleidlich gewesen war. Sie fragte seitdem jeden Morgen, ob sie ihr liebstes Stofftier mitnehmen durfte. Ich untersagte es jeden Morgen. Entsprechend groß war nun ihre Freude.
„Ziege darf in die Kita?“
„Ja, Ziege darf in die Kita.“
Sie entdeckte Ziege auf ihrem Bett im Kinderzimmer und rannte sofort zu ihr. Gleichzeitig kam Lukas aus dem Bad geschossen, mittlerweile deutlich wacher und schon wieder auf Hochtouren. Er wollte in mein Zimmer rennen.
„Lukas“, rief ich sofort, während er die Tür öffnete.
Er stoppte und schaute zu mir. Durch den geöffneten Spalt konnte ich bereits die Andere sehen, die nichts so recht mit sich anzufangen wusste, aber nun aus unserem Blickfeld sprang.
„Hast du abgezogen? Hände gewaschen?“
„Oy“, sagte er, platschte sich an die Stirn und rannte wieder ins Bad.
„Und dann komm ins Kinderzimmer. Anziehen. Wir sind spät dran.“
Ich eilte zur Schlafzimmertür, um sie wieder zu schließen. Als ich den Widerstand von der anderen Seite spürte, wurde mir mulmig. Ein Teil in mir hoffte immer noch, dass die Andere nur eine Erscheinung, ein Hirngespinst war. Die Kraft ihres Körpers zu spüren, manifestierte ihre Anwesenheit. Sie stand nun direkt vor mir.
„Sie dürfen uns nicht zusammen sehen“, zischte sie mir zu.
„Ich weiß“, sagte ich.
Sie nickte, denn sie wusste, dass ich es wusste. Wir wussten alles, was der jeweils andere dachte. Wir dachten gleich. Eigentlich war es überhaupt nicht notwendig zu reden.
„Ich mache das mit der Kita“, sagte ich trotzdem. „Danach … danach reden wir.“
Sie riss die Tür zu, denn in dem Moment kam Lukas wieder aus dem Bad, die Hände noch tropfnass.
„Mit wem hast du geredet?“, fragte er.
„Mit niemandem“, sagte ich ertappt.
Hinter mir wurde die Tür abgeschlossen. Er schaute irritiert zu dem Schloss.
„Komm jetzt!“, rief ich ihm zu und zog ihn ins Kinderzimmer, wo Lene verträumt mit Ziege auf dem Bett lag.
„Ziege geht in die Kita.“
„Gar nicht wahr. Du darfst Ziege nicht mitnehmen.“
„Wohl wahr!“
„Doch, Lukas,“ mischte ich mich ein. „Lene darf heute ausnahmsweise Ziege mitnehmen.“
Lukas staunte. Er kannte natürlich das Drama, das Lene in den letzten Wochen jeden Morgen gemacht hatte, wenn die Diskussion auf Ziege gekommen war. Und er wusste, dass ich stets sehr konsequent bei dem Thema geblieben war.
„Warum?“, fragte er nun.
„Weil … weil heute kein normaler Tag ist.“
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