Bloß nicht das Handtuch werfen

Ich liebe es ja, in der Türkei Urlaub zu machen. Nicht nur aus den offensichtlichen Gründen – Familie, Sonne, Meer. Sondern es sind auch die vielen Kleinigkeiten, die ich einmal dem „türkischen Wesen“ zuschreiben will und an denen ich mich erfreuen kann.

Zum Beispiel beim Umgang mit Kindern. Der Türke LIEBT Kinder. Wenn man hier mit zwei weinenden Kleinkindern in einem Restaurant auftaucht, wird man nicht etwa schief angeguckt oder darum gebeten, schnell weiterzugehen. Nein, es wird sofort aus Stühlen und Sitzkissen ein Bett für die Kleine gebaut, während der Große von diversen Kellnern davon geschleppt und unterhalten wird. Man muss eher aufpassen, dass man seine Kinder auch irgendwann mal zurückbekommt, als dass sie stören – denn die anderen Gäste wollen die entzückenden Kleinen schließlich auch mal auf den Arm nehmen.

So setzt sich das mit der entspannten Lebensweise in allen Bereichen fort. Wecken die Reinigungskräfte im Ferienapartment durch ihr Klingeln aus Versehen die Kindern, kommen sie nach einer Stunde mit ein paar Blumen als Entschuldigung zurück und bespaßen die Kleinen. Hat man ein Problem, bietet meist schon jemand unbürokratisch Hilfe an, bevor man gefragt hat. Und selbst mit meinem mangelhaften Türkisch komme ich gar nicht um einen kleinen Plausch herum, wenn ich irgendwo einkaufe. Wobei mein Tarzan-Türkisch immer sehr wohlwollend aufgenommen oder sogar gelobt wird. Kein Vergleich dazu, was andersherum einem Türken in Berlin passieren kann.

Nun ist mir in den letzten Tagen aber eine Entwicklung aufgefallen, die ich bedenklich finde. Äußert bedenklich! Ich nenne es mal „westliche Einflüsse“, mit denen ich vor ein paar Jahren noch nicht gerechnet hätte. Am Strand unserer Feriensiedlung ein erstes Indiz: Im sandigen, flachen Bereich, der perfekt für kleine Kinder ist und daher unser tägliches Ziel, tummelten sich usbekische, turkmenisch oder kasachische Nannys mit den kleinen türkischen Kindern. Die Eltern tauchten – wenn überhaupt – ausgeschlafen nach ein paar Stunden auf, um sich dann zum Tee trinken und mit den Nachbarn plaudern auf die Liegen zu hauen, anstatt sich persönlich um ihre Kindern zu kümmern. Das waren doch nicht die Kinderliebenden Türken, wie wir sie kannten. Gut, in diese Kritik mischt sich abgrundtiefer Neid, weil wir auch gerne wenigstens EINMAL ausschlafen würden, aber trotzdem! Das ist neu!

Und dann heute Morgen der Beweis, dass dieses Land in eine verheerende Richtung steuert. Wir sind notgedrungen immer unter den Ersten, die morgens an den Strand kommen. Während wir unsere Liegen im sandigen Bereich aufbauen, sehe ich dort bereits zwei Liegen stehen, auf denen Handtücher liegen. Weit und breit kein Besitzer zu sehen. Mh. Komisch, denke ich noch. Und dann durchfährt es mich wie ein Blitz: Die haben sich doch nicht etwa Liegen mit ihren Handtüchern reserviert??? Ich schaue mich genauer um und es bietet sich mir ein Bild des Schreckens:

Was sieht man? Leere Liegen. Mit Handtüchern drauf. Aber es ist niemand da. Kein Mensch. Und so sieht es überall in der ersten Reihe aus. Praktisch alle guten Liegen sind mit Handtüchern blockiert, einer zutiefst deutschen und von mir zutiefst verabscheuten Praxis. Dazu muss man wissen: In diese Feriensiedlung kommen nur türkische Familien – höchstens mal ergänzt durch einen Enischte (Angeheirateten) wie mich. Und während ich noch staunend mit offenem Mund eine weitere Liege aufbauen will, damit unsere Kleine darauf schlafen kann, taucht ein Strandwächter auf und erklärt uns, dass wir keine zusätzliche Liege haben können. Jeder Schirm bekommt ZWEI Liegen. Punkt. Aus. Meine Frau – die ihre ganze Kindheit in dieser Siedlung verbracht hat – fragt, seit wann es denn solche Regeln gibt und bekommt ein türkisches „Das haben wir schon immer so gemacht“ an den Kopf geworfen. (Was natürlich nicht stimmt.) Auf den Hinweis, dass wir nur noch gerne eine Liege für die Kleine (ein Kind!) hätten und ja schließlich außer Handtüchern sonst kaum jemand da ist, bekommen wir das türkische Äquivalent von „Da kann ja jeder kommen“ zu hören. Unnachgiebig stampft der Mann davon und kackt eine usbekische Nanny zusammen, die gerade ein Schwimmkrokodil aufbläst. Sie hat sich offensichtlich auch illegal eine dritte Liege genommen. Spricht allerdings nicht so gut türkisch. „Two“ höre ich den Strandwächter immer wieder betonen, während er auf türkisch „Wo kommen wir denn da hin“ flucht. Dabei wedelt er der ratlosen Nanny mit zwei Fingern vor ihrem Gesicht herum. Gestisch bedeutet er ihr, dass die überzählige Liege schleunigst zurück zu ihrem Pendant an einem freien Schirm muss. Schließlich geht er davon auf der Suche nach weiteren Regelbrechern. Die usbekische Nanny sitzt grübelnd mit ihrem halb aufgeblasenen Krokodil da. Ich bedauere sie zutiefst und denke mir: Wo ist es mit diesem Land hingekommen? Das ist ja, als ob ich in Stuttgart an den Strand will!

Schließlich nimmt die Nanny die illegale Liege und schleift sie zu besagtem Schirm. Doch sie stellt sie nicht einfach ab, sondern annektiert kurzerhand den freien Schirm und reserviert BEIDE Liegen mit ein paar Handtüchern für sich und das betreute türkische Kind. Jetzt hat sie vier Liegen. Bravo, denke ich. Das System unterlaufen. Es mit seinen eigenen Regeln schlagen. Ich nehme mir zwei Handtücher und ziehe los zu ein paar freien Liegen. Es formiert sich usbekisch-deutscher Widerstand! Gegen das türkische Preußentum bzw. preußische Türkentum! Ich mein: Wo kommen wir denn sonst hin?

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