Von der Idee zur Geschichte

„Ideen zu haben ist himmlisch. Sie auszuarbeiten die Hölle“.

Dieses Zitat von Maurice Maeterlink stand auf dem Handout, das ich bei meinem ersten Drehbuchwochenendseminar Anfang der Neunziger Jahre als junger Mann bekommen habe. In der Alten Feuerwache in Köln hatte ein bis heute wenig bekannter Drehbuchautor Hobbyschreiber in einem schlecht geheizten Raum versammelt, um ihnen die Grundlagen des Drehbuchschreibens nahezubringen. Meine erste Berührung mit solch einer Theorie. Und dann wurde mir gleich das mit der Hölle vor die Nase gesetzt. Es hat mich nicht geschreckt, sondern war vielmehr die Initialzündung für meinen Weg als Autor. Was aber nicht bedeutet, dass der Satz nicht wahr ist. Ich würde ihn aus heutiger Sicht oft gerne umwandeln: „Ideen zu haben ist vergleichsweise einfach. Sie auszuarbeiten, ist die wahre Arbeit eines Autors.“

Bei meinem neuen nach wie vor unbetitelten Roman, dessen Entstehung ich hier mit Projekt Backstage begleite, bin ich nun genau in dieser Phase, in der aus einer Idee mehr werden muss. Ein kleiner Kosmos an Figuren muss entstehen. Eine Handlung, die überraschend und komplett nachvollziehbar zugleich ist. Ich war noch einige Tage „abgelenkt“ durch meine Arbeit für die „Lindenstraße“, aber allmählich kommt nun der Plot-Zug ins Rollen. Unterstützt durch eine Facebook-Gruppe mit ca. dreißig interessierten Leuten, die jeden Schritt begleiten und wertvolles Feedback geben.

Anfang, Ende, Mitte

In einer Geschichte gibt es drei wichtige Bereiche, die die absolute Konzentration des Autors erfordern: Den Anfang, das Ende und natürlich den Mittelteil. So banal, so wahr. Jeder Bereich hat seine besonderen Eigenheiten und auch Herausforderungen. Ich gehe sie meist tatsächlich in der notierten Reihenfolge an:

Zunächst brauche ich einen Anfang. Klar. Das ist in der Regel die Idee selbst. In meinem Fall die Frau, die nach zwanzig Jahren in einer neuen Welt aus dem Koma erwacht. Aber dann geht es erst richtig los: Wie kann ich die Leserinnen und Leser sofort in das Geschehen ziehen, sie mit meiner Hauptfigur mitfiebern lassen, sie dazu zwingen, die halbe Nacht durchzulesen? Ich muss Fragen aufwerfen, überraschende Wendungen einbauen, Tempo aufnehmen. Mir half dabei, dass ich ein Problem hatte, das ich zu meinen Gunsten drehen konnte: Eigentlich ist jemand nach zwanzig Jahren Koma gut beraten, eine lange und auch langsame Reha zu machen, um körperlich und geistig fit zu werden. Das wäre als Handlung so ziemlich das Langweiligste, was man sich vorstellen kann. Genau deswegen habe ich eine schrecklich ungeduldige und störrische Hauptfigur, die in ihrem Herzen ein Teenager ist. Sie flieht im Rollstuhl viel zu früh, viel zu hilfsbedürftig und ohne einen Schimmer, was sie da draußen erwartet, aus der Klinik. Das bringt Tempo, Spannung und Witz. Ich habe meinen Anfang.

Rückwärts arbeiten

Viel weiter komme ich aber nicht, wenn ich kein Ende für den Roman habe. Es gibt Theorien, wonach man als Autor siebzig Prozent der Arbeitszeit mit den letzten dreißig Prozent der Geschichte verbringt. Beim ersten Plotten kommt das bei mir hin. Denn erst, wenn ich weiß, wo die Geschichte hingeht, kann ich den Rest überhaupt angehen. Erst wenn ich den Endpunkt der Entwicklung meiner Figuren kenne, weiß ich, wo sie am Anfang stehen müssen und was die Prüfungen sind, denen sie sich zu unterziehen haben. Bei einer 17-jährigen, die plötzlich 37 ist, liegt eins nahe: Ihre Geschichte endet erst, wenn sie den fehlenden Reifeprozess im Schnelldurchlauf durchgestanden hat. Auf ihre eigene Weise. Aber doch in diesem Genre zumindest so befriedigend, dass man von einem Happy End sprechen kann. Wie das ganz konkret aussieht, kann ich dann sogar noch während des Schreibens abwandeln, aber ich muss erst einmal festlegen, dass genau das mein erzählerisches Ziel ist. Und was dies für die Handlung bedeutet. Dann geht es wieder zurück nach vorne.

Wie war das im Mittelteil?

Kritzeleien L.I.E.B.E.Zuletzt widme ich mich dann dem gefürchteten Mittelteil. Gefürchtet, weil man selbst bei einem spannenden Anfang und einem befriedigenden Ende genau hier leicht scheitern kann. Mit einer Handlung, die sich dahinzieht wie Kaugummi oder einfach zu vorhersehbar ist. Hier braucht man den ganzen Reichtum an Ideen, Recherchen, tollen Nebenfiguren, Wendungen und sonstigen Überraschungen, um die Geschichte zu einem emotionalen Erlebnis für die Leserinnen und Leser zu machen. Um die vielen Seiten zu füllen, die dieser Mittelteil nun einmal ausmacht. Im Normalfall sammle ich dafür über Tage Ideen und kritzle sie (immer im Ping Pong mit der Figurenentwicklung, über die ich als nächstes berichten werde) auf den nächstbesten Zettel, aus dem ich dann manchmal selbst nicht mehr schlau werde. Was nicht schlimm ist, weil sich die guten Ideen sowieso in mein Hirn brennen und spätestens beim Schreiben ihren Platz verlangen werden. Derzeit bin ich, was den neuen Roman angeht, das Eichhörnchen, das fleißig sammelt bis die Ideen irgendwann aus meinem Nest herausquillen und ich damit locker über den harten Winter des Manuskriptschreibens komme. Nur dass ich nicht alles auf ein Papier kritzle, sondern durch die Facebookgruppe gezwungen bin, die Ideen auch mal auszuformulieren und zu strukturieren – was sicher nicht falsch ist. (Auf dem Foto rechts sieht man meine ersten Kritzeleien zum Projekt „L.I.E.B.E.“ – von dem übrigens gerade der letzte Band erschienen ist.)

Story

Dies ist mein Weg, den ich beim Erarbeiten eines Plots beschreite. Und das auch nur sehr oberflächlich beschrieben. Wer sich tiefer mit den Funktionsweisen von Geschichten beschäftigen möchte, dem „richtigen“ Weg, einen berührenden und funktionierenden Plot zu entwickeln, dem sei das Buch „Story“ von Robert McKee empfohlen. Auch wenn es sich zunächst an Drehbuchautoren wendet, so habe ich in meinem Leben als Autor kein hilfreicheres Lehrbuch über das Entwickeln von Geschichten gefunden als dieses. Noch heute nehme ich es sofort wieder in die Hand, wenn ich mich mit meinen Ideen verrenne und nicht mehr weiß wo hinten und vorne ist. Und das sollte man als Autor ja schon …

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