Also gut: Die Film- und Fernsehwelt wartet nicht gerade auf neue Autoren. Das hab ich im ersten Teil dieser kleine Reihe ausgeführt. Trotzdem versuchen immer wieder tapfere junge und nicht mehr ganz so junge Menschen, aus dem Schreiben von Drehbüchern einen Beruf zu machen. Denen möchte ich heute einen Eindruck vermitteln, was es dafür eigentlich braucht. Aus meiner Sicht.
Talent und Handwerk. Ich denke, das ist nicht überraschend. Drehbuch hat sehr viel mit Handwerk zu tun, das man an den diversen Bildungseinrichtungen oder auch durch zahllose Bücher erlernen kann. Zumindest im Ansatz. Wirklich lernt man es meiner Ansicht nach vor allem dadurch, dass man schreibt, schreibt, schreibt. (Und es Leuten zu lesen gibt!) Aber ganz ohne Talent nützt auch das beste Handwerk nichts. Man muss einfach ein Gespür für Figuren und Geschichten haben. Eine angeborene Neugier auf Menschen und ihr Leben, die Fähigkeit zur Empathie, einen Blick für das Drama in unser aller Leben. Das sind Hinweise, die der angehende Autor so oder ähnlich wahrscheinlich schon sehr oft gehört hat. Es sind die selbstverständlichen Grundvoraussetzungen. Mir geht es in diesem Beitrag um etwas anderes. Gerade wenn besagter Autor auch wirklich in unserer Branche arbeiten will. Denn dann braucht er den „inneren Sisyphos“.
Wenn ich mir Sisyphos so vorstelle, wie er da unter Aufbringung übermenschlicher Kräfte seinen Felsblock den Berg hinaufrollt. Ächzt und stöhnt und es doch irgendwie nach oben schafft, nur um sich dann wenig später wieder am Fuß des Berges zu finden – MIT dem Felsblock. Dann sehe ich einen Drehbuchautor.
Man braucht eine Menge Geduld. Autoren sind selbständig. Das heißt, sie sind selbst ständig auf der Suche nach neuen Aufträgen. Es ist nicht so, dass man sich einmal alle paar Jahre bewirbt und dann hat man seinen Job (mehr oder weniger) sicher. Dass ich seit 15 Jahren für dieselbe Serie arbeite, ist eine echte Rarität in diesem Geschäft. Der Normalfall sieht so aus, dass man – gerade am Anfang – Exposés, Treatment, Schreibproben en masse verfasst, verschickt und abgelehnt wird. Es reicht nicht, das eine (vermeintlich) geniale Drehbuch zu haben, das man dann nur noch verkaufen muss. Man muss zahllose Ideen parat haben, die auf Sendeplätze, Produzentenvorlieben und (vermeintliches) Zuschauerinteresse passen. Und das alles ändert sich blitzschnell. Also braucht es ein enormes Output – ohne dass man dafür bezahlt wird. Selbst wenn man irgendwo mal bezahlt wird, dann ist es gerade in der Entwicklungsphase eines Stoffes übertrieben wenig. Und bedeutet noch lange nicht, dass aus dem Stoff irgendwas wird. Unter meinen Kollegen kursiert hier die „1:10“. Von zehn Stoffen, die man (mit Produzent!) entwickelt, erblickt im Durchschnitt einer das Licht der Leinwand / des Bildschirms. Das gilt für Leute, die bereits im Geschäft sind!
Hat man dann irgendwann einen Auftrag, der auch nach Realisierung ausschaut, braucht man Kraft. Viel Kraft. Drehbuchautoren sind in der Regel Einzelkämpfer. Sie haben nur sich selbst und die nahende Deadline als Motivation. Und eine Millionen Möglichkeiten, sich von der Arbeit abzulenken – gerade in der Zeit von Social Media. Wer sich nicht selbst motivieren kann, hat ganz schlechte Karten. Wer langsam ist auch. Denn auch wenn Produzenten, Sender und alle anderen, die über Stoffe entscheiden, sich in der Regel wahnsinnig viel Zeit lassen, bis sie sich mal melden, muss DANN immer alles sehr schnell gehen. Ich selbst hatte schon Anfragen, ob ich innerhalb von drei Wochen mal eben ein Serienkonzept aus dem Boden stampfen kann oder in einem Monat ein Spielfilmdrehbuch. Absurde Fristen. Keine Seltenheit.
Dann hat man also den langen Atem gehabt bis zum Auftrag, hat am Rande seiner Kräfte wie ein Wahnsinniger unter Vernachlässigung von Familie und Freunden das geforderte Werk geschaffen, steht also fast ganz oben und kann die ersehnten Dreharbeiten eigentlich schon sehen. Und dann haut es einem die Beine weg. „Eigentlich gefällt uns die Geschichte mit xy schon seit dem Exposé nicht.“ Dummerweise ist die Geschichte mit xy der Hauptplot. „Ja, wir hätten jetzt doch lieber eine Komödie.“ Dabei schreibt man seit einem Jahr an einem Drama. „Die Zuständigkeiten haben gewechselt. Das muss jetzt noch mal ins Gremium.“ Auf Deutsch: Das war’s. Das sind keine fiktiven Beispiele, das ist mir selbst alles schon passiert und meine Kollegen könnten hier problemlos ergänzen. Man ist plötzlich wieder ganz am Anfang. Im besten Fall. Und nicht unbedingt weil die eigene Arbeit nicht gut war. Nein, das muss nicht sein. Es kann sich auch einfach nur der Wind gedreht haben.
Spätestens dann braucht man ihn, den inneren Sisyphos. Man braucht ihn oft. Das hier beschriebene ist nur die Spitze des Sisyphos-Berges. Ich könnte (und werde vielleicht) ganze Blog-Einträge über weitere Folterinstrumente schreiben – Anmerkungen zu Drehbüchern, Abhängigkeit von der Quote, Bauchgefühle von Produzenten oder Redakteuren usw. Eins ist sicher: Ohne die Fähigkeit mit seinem Leiden leben zu können, sollte man sich bei der Berufswahl noch einmal anderswo umschauen. Ach ja, und für alle, die das zu negativ finden, zitiere ich immer gerne Camus: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
Falls jetzt noch Drehbuchautoren-Aspiranten hier mitlesen, die sich immer noch nicht haben abschrecken lassen, reden wir übermorgen im dritten und letzten Teil dieser Reihe endlich einmal darüber, was man denn nun so verdient als Drehbuchautor …