Bei der „Lindenstraße“ ist es so, dass wir Autoren immer einige Folgen am Stück schreiben. Heute hat mit der Folge 1395 “Bolivien” wieder mein Block begonnen. Ab jetzt sehe ich die laufenden Folgen als „meine Folgen“, was natürlich streng genommen falsch ist. Denn die Geschichten haben alle Autoren gemeinsam entwickelt. Lediglich die szenische Ausführung, der Aufbau der Folge, die Dialoge usw. sind ausschließlich von mir. Dennoch fühlt man sich diesen Folgen besonders verbunden und erfahrene Zuschauer können auch eine Handschrift der unterschiedlichen Autoren wiedererkennen.
Die erste Folge eines solchen Blocks ist immer etwas Besonderes. Meistens ist sie für den Autor etwas schwieriger als andere. Aus mehreren Gründen:
Erstens schließt man mit mindestens einer Geschichte – nämlich die des Cliffhangers der Vorwoche – an die Arbeit eines Kollegen an. Die man aber zum Zeitpunkt des Schreibens noch gar nicht kennt. Natürlich haben wir als gemeinsame Grundlage die Storylines, dennoch weiß man viele Details noch nicht. Ich hatte bei „Bolivien“ an die Szene anzuknüpfen, in der Tanja den Biker in ihrer Wohnung „erwischt“. Und genau auf die Szene wird ja bei mir mehrfach Bezug genommen von Tanja, Biker oder Jack, so dass ich hier bei der ersten Fassung meines Drehbuchs erst einmal einige Dialoge ins Blaue schreiben musste.
Zweitens versuchen wir nach Möglichkeit, jedem Autor eigene Geschichten zu geben. Soll heißen, dass gerade große Geschichten oder zumindest klar umrissene Abschnitte einer Geschichte überwiegend von einem Autor innerhalb seiner Folgen übernommen werden. Das hat den Vorteil, dass man gut in der Geschichte drin ist, eventuelle Nebenfiguren oder neue Figuren erst einmal in einer Hand bleiben, man sich intensiver mit einem Recherchethema beschäftigen kann usw. Bei mir waren das in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel die Geschichten um den Einstieg und Ausraster von Orkan oder die Sektengeschichte mit Klaus und Nastya. Das führt aber auch dazu, dass man in seiner ersten Folge neue größere Geschichten oft erst aufbauen muss. Anfänge sind meistens etwas undramatischer. Im Falle von Andy und Gabi reichte es aber immerhin für einen aus meiner Sicht ganz guten Cliffhanger, weil wir hier eine Menge Vergangenheit der „Lindenstraße“ aufmachen …
Drittens ist es mit der ersten Folge wie eigentlich mit jeder Arbeit, die man beginnt: Man muss erst wieder reinkommen. Nicht selten brauche ich für die erste Folge doppelt so lang wie für die späteren. Man muss sich einlesen, einfühlen, in die Figuren reinhören. Und wieder abgewöhnen alle zehn Minuten bei Facebook, Twitter oder sonstwo nach Zerstreuung zu suchen.
Natürlich kann und darf das alles nicht dazu führen, dass eine erste Folge in einem Autorenblock schlechter wird als andere. Es gibt mehrere Fassungen, über die hinweg man die Ungenauigkeiten ausgleichen kann. Man muss vielleicht insgesamt etwas mehr Aufwand für solch eine Folge betreiben, aber meistens ist es dann doch so, dass die Zuschauer gar kein Holpern beim Übergang von einem Autor zum anderen mehr wahrnehmen.
Für mich selbst sind die Zeiten, in denen meine Folgen laufen allerdings schon etwas Besonderes – auch nach 15 Jahre Arbeit bei der „Lindenstraße“. Obwohl ich die Folgen meistens schon mehrfach vorab gesehen habe, sitze ich immer wieder nochmal während der Ausstrahlung vor dem Fernseher, schaue hinterher im Internet nach Reaktionen und bin montags besonders gespannt auf die Quote. Es ist immer eine Zeit der erhöhten Aufmerksamkeit. Gefühlt wohne ich dann noch mehr in Deutschlands berühmtester Straße als sonst schon. Heute geht es also wieder los. Und das nun zwölf Wochen lang …